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Jagd auf Bestzeiten mit 300 PS

Einst galt Andreas Baier als schnellster Rennfahrer der Region. In der Formel König war er anno 1988 der Einzige, der Michael Schumacher besiegen konnte. Später war die Nürburgring Nordschleife 20 Jahre lang sein "Wohnzimmer". Und auch jetzt, mit inzwischen 59 Jahren, sitzt der Eschenauer noch im Cockpit - abwechselnd mit seiner Tochter Hannah. Auch die 19-Jährige hat "Benzin im Blut", ist gemeinsam mit ihrem Vater auf den Slalomstrecken Süddeutschlands zuhause und gilt dort als eine der schnellsten Frauen aus Württemberg. Wir haben uns mit dem sympathischen Vater-Tochter-Gespann vom Motorsportclub Heilbronn (MCH) getroffen, um einen näheren Blick auf den Slalom-Rennsport und vor allem auf Hannahs Erfolge zu werfen.  

Hannah und Andreas Baier

Eigentlich hatte Hannah Baier nie irgendwelche Ambitionen, ihrem erfolgreichen Vater im Motorsport nachzueifern. "Dann hat mich ein Kumpel in der Schule gefragt, ob ich nicht mal zum Nachwuchstraining vom Motorsportclub Heilbronn mitkommen möchte. Ab da war es um mich geschehen", lacht die Gymnasiastin am Öhringer Agrar-Gymnasium. Im Alter von 15 Jahren setzt sie sich zum ersten Mal hinters Lenkrad, ohne zu wissen, wie man Auto fährt.

Hannah Baier und Pokale 

In der Jugendgruppe des MCH lernt die Quereinsteigerin nicht nur das Anfahren, Lenken und Bremsen, sondern findet auch schnell heraus, wie man mit möglichst viel Speed Pylonen umkurvt. Wenige Monate später geht Hannah zum ersten Mal in der Altersklasse 16 bis 18 Jahre beim ADAC Slalom Youngster Cup an den Start - einer Serie, die auf einem 70 PS starken Opel Adam gefahren wird. Der ADAC stellt dort zwei Fahrzeuge zur Verfügung, mit denen die Starter abwechselnd ins Rennen gehen. Gefahren wird von Start bis Ziel nur im zweiten Gang", erklärt Hannah. Mit entscheidend über die Rundenzeit ist, dass man die serienmäßig eingebauten technischen Fahrhilfen möglichst effektiv überlistet. “Greift erst mal das ABS, dann denkst du, du fährst rückwärts und kommst gar nicht mehr vom Fleck", lacht die Zwölftklässlerin. Im ersten Jahr trainiert Hannah hart, lernt sehr viel und kämpft sich ins hintere Mittelfeld der Serie vor.

In ihrer zweiten Saison zahlt sich das filigrane Training der inzwischen 17-Jährigen aus: Sie ist eine von sechs Fahrerinnen und Fahrern aus Württemberg, die sich zum Bundesendlauf für die deutsche Motorsportjugend am Nürburgring qualifizieren, bei dem die besten 70 Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren gegeneinander antreten - ein riesiger Erfolg für die "Spätberufene". Eine zweite Teilnahme am Endlauf ist ihr leider nicht vergönnt, da die Corona-Pandemie auch vor dem Rennsport nicht Halt macht und der Großteil der Saison 2020 ausfallen muss.

Vater und Tochter nutzen die Zeit der Corona-Einschränkungen, um für Hannah einen BMW 318ti compact mit 140 PS aufzubauen, mit dem sie gleich einen Gaststart im BMW Slalom Cup absolvieren kann. "Die Umstellung war krass. Mein Vater durfte mich in der ersten Runde noch als Beifahrer begleiten und konnte mir Tipps geben, ehe ich allein ranmusste. Die Geschwindigkeit hat mich maximal gestresst, aber es war mein erster Slalom im eigenen Auto und ich wollte mich unbedingt durchbeißen. Die Zeit und das Ergebnis waren mir egal", erinnert sie sich.

Mit dem 318ti, den sie liebevoll „Bertha" nennt, fährt Hannah in der Saison 2021 gemeinsam mit ihrem Vater den kompletten BMW Slalom Cup. Andreas steigt jeweils als Erster ins Auto und dreht seine Runden, um danach seiner Tochter Tipps für ihren Wertungslauf zu geben. Rund fünf Sekunden liegen auf der ca. zwei Kilometer langen Strecke noch zwischen den beiden.

Parallel fährt Hannah weiterhin im Youngster Cup, sitzt vormittags im PS-starken Hecktriebler und am Nachmittag im frontgetriebenen Opel Adam. Sie sammelt zahlreiche Rennkilometer, versucht sich beim Bergslalom und bei Gleichmäßigkeitsprüfungen auf der Nordschleife und verbessert sich Woche für Woche. In der Klasse 18 bis 23 Jahre des ADAC Slalom Youngster Cup wird sie als eine der Jüngsten Fünfte der Württembergischen Meisterschaft, im BMW Slalom Cup holt sie den Gesamtsieg der Kategorie Rookie Damen.

„Damit hatte ich den Drei-Jahres-Plan, den mein Vater für mich zurechtgelegt hatte, schon im ersten Jahr zunichte gemacht", schmunzelt sie. „Mich hatte der Ehrgeiz gepackt, dass ich 2022 um den Gesamtsieg der Damen-Wertung mitfahre, aber dafür war meine Bertha leider nicht konkurrenzfähig."

Gut, dass Papa Andreas noch seinen BMW M3 E36 aus längst vergangenen Rallye-Zeiten in der Garage stehen hatte. „Ich war mir nicht sicher, ob der Sprung von 140 auf 300 PS für Hannah nicht doch zu groß sein würde", gibt der ehemalige Rennfahrer heute zu. "Aber als sie dann das erste Mal gefahren ist, wusste ich, dass diese Zweifel unbegründet waren. BMW muss den E36 extra für Hannah gebaut haben. Das hat auf Anhieb perfekt gepasst."

Wieder gehen die beiden beim BMW Slalom Cup an den Start und teilen sich das Fahrzeug. Nach ihren Wertungsläufen fahren sie jeweils auch noch in den Gleichmäßigkeitsprüfungen, die sie als Trainingseinheiten für Hannah nutzen, die sich tatsächlich von Runde zu Runde weiter steigert. Parallel nimmt sie an der Baden-Württembergischen ADAC-Meisterschaft sowie weiterhin im Opel Adam am ADAC Youngster Cup teil.

Hannah Baier beim Slalom Heilbronn

Ihr großes Ziel für die Saison 2022, die Damenwertung im BMW-Slalom Cup zu gewinnen, verpasst sie um knappe 0,5 Punkte – und dies auch nur, weil sie ausgerechnet bei dem einen Rennen nicht antreten konnte, bei dem es allein für die Teilnahme einen extra Punkt für die Gesamtwertung gab. Doch dafür liegt sie beim letzten Lauf der Saison nur noch acht zehntel Sekunden hinter ihrem Vater. „Ihn zu übertrumpfen, ist eines meiner größten Ziele", grinst sie, und Andreas Baier kontert: „Ich wurde schon immer nur ungern Zweiter und werde mich mit Haut und Haaren dagegen wehren. Aber wenn sie es schaffen sollte, wird das mein erster Zweiter Platz in meinem Leben sein, den ich feiern werde.“ Ob es schon in der Saison 2023 so weit sein wird, steht in den Sternen, denn Hannah Baier hat ihre Prioritäten neu geordnet. „Ich habe in der Schule einen sehr hohen Anspruch an mich selbst und schreibe 2024 mein Abitur. Momentan sind meine Noten gut und ich möchte, dass dies so bleibt. Mein Plan ist, danach in Heidelberg Biowissenschaften und Chemie zu studieren. Mit dem Rennsport werde ich nie meinen Lebensunterhalt bestreiten können und deshalb werde ich hier etwas kürzertreten. Aber natürlich bleibe ich dabei. Das Slalomfahren ist nicht nur mein Hobby, es ist auch mein Puffer zum Abschalten. Wenn ich im Auto sitze, kann ich alles andere vergessen und meine innere Mitte finden. Außerdem habe ich hier auch meinen ganzen Freundeskreis.“ Wenn am 22. April 2023 auf der Heilbronner Verkehrsübungsanlage am Wolfszipfel der diesjährige Automobilslalom des MCH stattfindet, wird es sich die Lokalmatadorin aber mit Sicherheit nicht nehmen lassen, den BMW M3 E36 um die Pylonen zu jonglieren. Denn sie hat schließlich noch eine Mission zu erfüllen: Ihren Vater Andreas seinen zweiten Platz feiern zu lassen ?

Quelle: Sport Heilbronn (SportHeilbronn-Magazin.de) Text: Ralf Scherlinsky